Freihandgrenze | Mit perfekten Belichtungszeiten aus der Hüfte

Verwacklungsgrenze - Welche Belichtungszeit bei welcher Brennweite

Freihand Belichtungszeiten spielen immer dann eine Rolle für dich, wenn du weder ein Stativ zur Hand hast noch ein fester Untergrund vorhanden ist, um deine DSLR-Kamera sicher zu platzieren. Schließlich hältst du dich nicht ewig im Automatikmodus auf und willst vielleicht schon bald auf eine manuelle Belichtung umsteigen, um kreative Ideen zu verwirklichen und die Fähigkeiten einer echten DSLR voll auszureizen.

Widmest du dich als fortgeschrittener Fotografie-Einsteiger der manuellen Belichtung und hast bereits fotografische Grundlagenwissen über Blende und ISO verinnerlicht, hilft dir ein magisches Wörtchen, um zukünftig scharfe Fotos aus der freien Hand zu schießen: die Freihandgrenze, auch Verwacklungsgrenze genannt.

Zunächst einmal gibt die sogenannte Freihandgrenze einen Zweitwert an, mit dem du maximal belichten kannst, ohne zu verwackeln. Sicherlich ist diese Freihandgrenze kein einheitlicher Wert, sondern hat einen Richtwertcharakter, der nicht für jeden Fotografen gleichermaßen gilt. Während der eine wie eine Salzsäule minutenlang verharren kann, zittert der Nächste schon beim Gedanken daran, gleich den Auslöser zu drücken.

Welche Verschluss-/ Belichtungszeit bei welcher Brennweite?

Im Kern ist die Verwacklungsgrenze schlicht die längste Verschluss-/Belichtungszeit, die du beispielsweise im voll manuellen M-Modus oder dem Modus für Blendenautomatik (Tv bei Canon-/ S bei Nikonkameras) wählen kannst, um ohne Hilfsmittel verwacklungsfreie Fotos zu schießen. Die maximale Belichtungszeit entspricht hierbei dem Kehrwert der eingestellten Brennweite. Klingt kompliziert, ist aber ungeheuer einfach.

Freihandgrenze (max. Belichtungszeit) = 1/ Brennweite

Beispiel Belichtungszeit mit Schlumpf Mike

Hier ein paar Beispiele unterschiedlicher Situationen und Brennweiten

  • Fotografierst du mit einer 50mm Festbrennweite (bspw. dem Canon EF 50mm 1:1.8), solltest du Blende und ISO so wählen, dass eine maximale Belichtungszeit von 1/50 erreicht wird. Je kürzer, desto besser. Kürzer hieße dann 1/60, 1/125 oder sogar 1/2000, was sich in vielen Lichtsituationen natürlich nicht bewerkstelligen lässt. Siehe hierzu auch: Belichtungszeit & Blende = ein echtes Dreamteam.
  • Der Einsatz eines Tele-Objektives macht die Sache schon etwas diffiziler, denn jenseits der 250mm Brennweite müssen für verwacklungsfreie Fotos entsprechend der Freihandgrenze auch mindestens 1/250 Sekunden Belichtungszeit herhalten. Bei Nachtaufnahmen selbst mit Bildstabilisator eine echte Herausforderung. Mit einem Glas Wein und etwas Übung ist allerdings auch das machbar, wie sich an meiner ersten Mondfotografie aus freier Hand sehen lässt.
  • Fotografierst du beispielsweise mit deinem Kit-Objektiv bei 18mm eine Personengruppe, beträgt der Kehrwert für die Einstellung der Freihandgrenze entsprechend 1/18. Ein Wert, der sich nicht einmal auf sündhaft teuren Vollformat-Kameras exakt einstellen ließe. Für dich bedeutet das, dass du die nächst gelegene, schnellere Verschlusszeit erreichen solltest. In diesem Fall wären das mindestens 1/20 oder noch besser: 1/25. Beides kritische Werte, die einen ruhigen Zeigefinger verlangen.

Ein guter Tipp für Fotografie Anfänger, den ich selbst natürlich auch befolge, ist es, einen kleinen Ausdruck dieser Freihandgrenzen auf die Kamerarückseite zu befestigen oder zumindest in deiner Fotoausrüstung als Spicker zu verstauen. In meinem Fall habe ich die Tabelle neben BW (Brennweite) und BZ (Belichtungszeit) um einen Zwischenwert, den CR (Crop-Faktor), erweitert. Fotografierst auch du mit einer DSLR, die einen APS-C-Sensor beherbergt, bist du auf der sicheren Seite, wenn du dich an den errechneten Brennweiten nach Crop orientierst. Bei der von mir verwendeten DSLR handelt es sich übrigens um eine Canon 650D mit einem Crop-Faktor von 1,6.

Kleines Rechenbeispiel zur Freihandgrenze an Crop-Kameras:

Du fotografierst eine Möve mit einer Brennweite von 180mm. Der Kehrwert – und damit die maximale Belichtungszeit – beträgt an einer Vollformat-DSLR ganz einfach 1/180, eingestellt auf den nächst höheren, möglichen Verschlusswert also 1/250.

Die 180mm Brennweite für das Möwenbild ergeben nach Crop-Faktor 1,6 (gilt für alle Canon EOS-DSLRs) eine Verschlusszeit von 1/288, denn 180×1,6=288. Die nächst höhere, mögliche Belichtungszeit läge dann bei 1/320. Wahlweise stellst du den Tv/S-Modus nun auf eine dreihunderzwanzigstel Sekunde ein und überlässt der Kamera die Blende, passt den ISO-Wert entsprechend an oder öffnest die Blende selbst im Av-Modus (Canon), bis diese Verschlusszeit beim Fokussieren erreicht wird.

Beherzigst du die Verwacklungsgrenze und nimmst dir etwas Zeit, wirst du schon bald markante Fortschritte in Form von knackscharfen Bildern erfahren. Diese kleine Excel-Tabelle soll dir dabei helfen:

Download Fotophobia-Freihandgrenze als .xlsx Excel-Datei
Download Fotophobia-Freihandgrenze als .jpg Bild-Datei

13 Kommentare
  1. Jens sagte:

    Hallo Christian,
    über eine Websuche zum hier behandelten Thema bin ich zu deiner simplen Formel gestoßen. Danke für dein Arrangement! Kannte ich bisher eher vage.
    Ich fotografiere schon immer viel mit Weitwinkel auf Vollformat und oft Freihand.
    In letzter Zeit bis runter auf 11mm (f/4,0).
    Ab 20mm und weiter, ist mir aufgefallen das es in den Ecken wieder schneller zu Verwacklungen kommen kann. So das der Laie schnell den Eindruck gewinnen wird, sein Objektiv wäre auf Grund der verwaschenen Ecken ein schlechteres Exemplar.
    Vom Stativ sieht das ganze dann wieder viel besser aus.
    Grund für das Phänomen der ab 20mm immer größer werdenden Verwacklungsgefahr zu den Ecken hin ist die notwendige perspektivische Korrektur der Weitwinkelobjektive.
    Besonders die modernsten bis zu extremen 10mm und geringster Verzeichnung bilden ein gleiches Quadrat in den Ecken ca 3,6 mal größer ab als im Zentrum.
    Ein Quadrat von 10×10 wird in den Ecken dann zu einem Rechteck von 20×36.
    Das entspricht für die Ecken im Vollformat einem Vergrößerungsfaktor von bis zu 3,6.
    Dieser Faktor ist bei 35mm mit ca 1,2 noch zu vernachlässigen, steigt aber immer stärker an.
    Für die Simple Formel zur Ermittlung der Freihandgrenze bedeutet dies folgendes:
    Ab 35mm abwärts bleibt durch den nun steigenden Vergrößerungsfaktor für die Ecken die Freihandgrenze etwa gleich bei 1/45 Sekunde.
    Dies gilt nicht für Fischaugenojektive. Diese sind perspektivisch unkorrigiert und somit unempfindlicher.
    Ich empfehle für extremste Weitwinkelaufnahmen zusätzlich deswegen die modernsten Exemplare mit größt möglicher Anfangsöffnung also eher Festbrennweite.
    Hoffe geholfen zu haben.

    Beste Grüße
    Jens

    Antworten
    • Christian sagte:

      Wow! Danke Jens, das ist eine super wertvolle Erkenntnis und ich bin sicher, dass du damit auch weiteren Lesern des Artikels geholfen hast. Vielen Dank!!

      Antworten
  2. Wilhelm Hannweg sagte:

    Hallo Christian
    Habe mir als Anfänger nach einigen Versuchen mit diversen Kameras im unteren Segment :Nikon D3100, P7100 usw. nun eine gut gepflegte mit wenigen Auslösungen
    Nikon D300 mit dem Nikon AF 28-80mm G Objektiv erworben . Kürlich habe ich mir
    noch das Nikon AF 70-300mm G zugelegt; beides objektive ohne Bildstabilisator.
    Des weiteren habe ich ein Stativ und einen Kabelfernauslöser.
    Natürlich hört man überall das diese Kamera gute Objektive braucht um ihr
    volles Potenzial auzuspielen können ; jedoch passen diese derzeit nicht in mein
    Budget. Ich hoffe dank deiner gut verständlichen Ausführungen dennoch schöne
    Fotos zu schießen und würde mich über weitere Tipps und Anregungen freuen.
    Gruß Willi

    Antworten
    • Christian sagte:

      Hallo Wilhelm,
      vielen Dank für deinen netten Kommentar auf fotophobia :)
      Ich denke, da du ja bereits auch ein Stativ besitzt, wird der fehlende Bildstabilisator verschmerzbar sein und da man sich zu Beginn ja ohnehin viel Zeit bei den Einstellungen der Kamera lässt, ist die Freihandgrenze auf dem Stativ noch gar nicht so wichtig. Ich wünsche dir viele gute Fotos und einen tollen Auftakt in der Fotografie!

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  3. Agnes Krauss sagte:

    Guten Tag, heute bin ich auf ihre sehr interessante Homepage gestossen.
    Zu Ihrer Excel-Datei mit den Angaben für die Belichtungszeit aus freier Hand habe ich eine Frage: Gelten die Angaben auch bei Kameras mit Stabilisator?
    Besten Dank für Ihre gelegentliche Antwort.
    Freundliche Grüsse aus der Schweiz
    Agnes Krauss

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    • Christian sagte:

      Hallo Agnes,
      ja genau, die Freihandgrenzen gelten auch beim Fotografieren mit Bildstabilisator. Das Konzept stammt allerdings noch aus analogen Zeiten und wird durch die Verwendung moderner Objektive etwas „aufgeweicht“. Es ist also durchaus möglich, Freihand mit einem guten Bildstabilisator zu fotografieren und dabei eine Belichtungszeit zu wählen, die etwas höher liegt als in der Tabelle angegeben. Auf der absolut sicheren, sprich knack-scharfen Seite ist man aber, wenn man diese Werte trotz Stabilisator zu Grunde legt.
      Nur beim Fotografieren mit einem Stativ haben sie keine Gültigkeit, wie der Name „Freihand“grenze ja verrät.

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  4. Jens sagte:

    Hallo,
    warum ist die Belichtungszeit bei einer BW 18, bei berechnetem Crop 29, denn 25 und nicht 30? Warum ist die Belichtungszeit hier nicht auch eine Kürzere wie bei den anderen Brennweiten?

    Antworten
    • Christian sagte:

      Hallo Jens, kurz und bündig: du hast vollkommen recht! Danke für den aufmerksamen Hinweis, ich werde die Belichtungszeit bei 18mm Brennweite schnellstmöglich anpassen.

      Antworten
  5. Christian der Zweite sagte:

    Habe soeben noch einmal auf mein Objektiv geschaut und siehe da, auf der Unterseite ist eine Skala zu sehen, welche aufgeteilt ist in 55,70, 105,135 und 200mm.

    Dabei muss ich sagen, dass es tatsächlich eine viertel Drehung bedarf, um von 55mm auf 200mmzu verstellen.
    100 mm sind genau bei der Hälfte der Skala, was heißt, das die Steigung der Brennweite nicht proportional zur Drehung ist, was eine Auskunft also etwas ungenau macht.

    Ob diese Skala allerdings bei allen Objektiven vorhanden ist kann ich allerdings nicht sagen.

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    • Christian sagte:

      Ja, diese Skala haben alle Zoom-Objektive. „Mike“ hat sich die Sache mal an meinen eigenen Objektiven angeschaut: Je höher der Brennweitenbereich, umso ungenauer die Skala. Das mit der Viertel-Drehung am Sigma ist womöglich ein (glücklicher) Zufall. Mein Superweitwinkel (3.5-4.5) und das Telezoom (3.5-5.6) verhalten sie da wieder ganz anders. Hier das Foto:
      Superweitwinkel vs. Telezoom

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  6. Christian der Zweite sagte:

    Kleine Frage dazu, wenn ich nicht mit einer Festbrennweite arbeite sondern, wie in meinem Fall mot einer verstellbaren Brennweite von 55-200 mm, woran erkenne ich dann die Verwackelungsgrenze? Sehe auf meiner Kamera ja nicht, welche Brennweite gerade eingestellt ist.
    Der Wert kann dabei ja wie beschrieben zwischen 55mm und 200mm liegen!

    Gibts dann ne Überschlagsformel, wie z.B. ne viertel Drehung am Objektiv ändert die Brennweite von 55mm auf 100mm oder so etwas?

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